Zukunftskonzept Nachhaltigkeit: Im Gespräch mit Marc Buckley
30.08.2020
Zukunftskonzept Nachhaltigkeit: Im Gespräch mit Marc Buckley
Nachhaltigkeit rückt immer stärker in den Fokus der Gesellschaft, getrieben nicht zuletzt durch die Diskussion über die globale Erderwärmung, Naturkatastrophen und „Fridays for Future“. Auch in der Lebensmittelindustrie ist die Entwicklung längst angekommen. Oft stehen die Aspekte Fleischkonsum und Verpackungen im Fokus, doch das Thema ist deutlich facettenreicher.
Im Laufe der kommenden Monate findet auf dem Anuga Blog ein Austausch mit Expertinnen und Experten statt, um ein umfassendes Bild der aktuellen Lage zu zeichnen. Den Anfang macht Klimaaktivist Marc Buckley, einer der Speaker auf der iFood Conference der Anuga 2019.
Marc Buckley stammt aus sechs Generationen der größten deutschen Bio-Landwirte und vier Generationen europäischer Hydroponik-Agronomen und hat sich daher schon früh Kenntnisse über den Lebensmittel- und Agrarsektor angeeignet. Während seines Studiums widmete er sich verschiedenen Spezialgebieten wie Globaler Umwelt- und Nachhaltigkeitsstudien, Betriebswirtschaft, Informatik, Recht, Wirtschaft und Agronomie. Heute setzt er sein Wissen als Global Food Reformist ein, um Unternehmen zu beraten, mit dem Ziel die Landwirtschaft sowie die Lebensmittel- und Getränkeindustrie mit wirkungsvollen Projekten zu reformieren. Er ist außerdem Mitglied des Expertennetzwerks für das Weltwirtschaftsforum für Innovation, Klimawandel, Landwirtschaft, Lebensmittel und Getränke und wurde von der UNO als Fürsprecher für die Ziele der nachhaltigen Entwicklung ausgewählt. Darüber hinaus war er einer der ersten Klimaaktivisten, der von Al Gore ausgebildet wurde.
Die Bedeutung von Nachhaltigkeit im Nahrungsmittel- und Getränkesektor
Sich selbst bezeichnet Marc Buckley als einen „Verfechter der Ziele der nachhaltigen Entwicklung”, einer weltweit anerkannten Agenda, die insgesamt 17 nachhaltigkeitsorientierte Punkte umfasst. Studien und wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Landwirtschaft sowie die Herstellung von Lebensmitteln und Getränke mitverantwortlich für eine starke Belastung der Umwelt. Das wolle Buckley ändern – mit positiver Kraft. Es handele sich keineswegs um eine „dystopische Sache”, sondern vielmehr um die beispiellose Möglichkeit, die „Lebensmittelsysteme global zu reformieren” und somit eine der weltweit größten Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Das Problem sei gleichzeitig auch die Lösung. Der Schlüssel liege darin, die „Art und Weise, wie wir Nahrungsmittel produzieren”, zu verändern. Unnötiger Verschwendung von Lebensmitteln oder überdurchschnittlicher Verursachung von Emissionen solle gezielt entgegengewirkt werden.
Ökologische Nachhaltigkeit durch Zero Waste?
Die Zero-Waste-Bewegung macht sich stark für eine Zukunft ohne Müll. Das ist weit mehr als nur ein Trend der Stunde: Precycling als Nachfolger von Recycling und Upcycling steuert eine langfristig nachhaltige Veränderung der Wirtschaftsmärkte an. Hinsichtlich endlicher Ressourcen und beschränkter Kapazitäten der Erde orientiert es sich an Ansätzen wie Cradle-to-Cradle oder Share Economy und will zum nachhaltigen Konsum anregen.
Der Grundgedanke: Anstatt auf Recycling und Wiederverwendung zu setzen, soll von vornherein gar kein Abfall produziert werden. Die vollständige Vermeidung von Müll wirkt sich auf die Energieindustrie, sämtliche Glieder der Wertschöpfungskette und letztlich auch auf den Handel aus.
Große Beachtung finden in den USA zum Beispiel so genannte Bulk Shops, in denen Produkte ohne Verpackung angeboten werden – zum Selbstabfüllen in mitgebrachten oder bereitgestellten Behältnissen und komplett plastikfrei. Auch in Europa gibt es entsprechende Geschäfte, wie den aus London stammenden Vorreiter „Unpackaged”, der in Deutschland, Österreich oder Italien Nachahmer findet.
Vorteile von Zero Waste
Marc Buckley bewertet Zero Waste als eine „wunderbare Bewegung, um den individuellen ökologischen Fußabdruck innerhalb der planetarischen Grenzen zu halten.” Doch nicht nur das Individuum solle zur Problembewältigung beitragen, auch die Wirtschaft könne sich diesen innovativen Weg zunutze machen. Der Produktionsprozess müsse darum, so Buckley, in seiner Gesamtheit vom „Erzeuger bis zum Verbraucher” umgestaltet werden.
Laut Ansicht des Experten könnten Unternehmen auf diese Art unter anderem Effizienz, Gewinn und Nachhaltigkeit steigern. Es sei eine bedeutende Chance, erfolgreiche Kreislaufwirtschaft zu betreiben, dadurch neue Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig die Herstellungskosten zu senken. Regionalen oder kleinen Produzenten biete sich die Möglichkeit, „frische und lokale Waren ohne zusätzliche Gemeinkosten für Verpackung und Einwegkennzeichnung zu liefern.”
Buckley richtet sein Appell vor allem an die „Landwirtschaft, die Fisch- sowie Meeresfrüchte-, Lebensmittel- und Getränkeindustrie”, da diese in ihrer aktuellen Form eine „Belastung für die natürlichen Ressourcen sowie für die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Menschen” darstellen würden.
Nachhaltiges Wirtschaften durch Circular Economy
Buckley empfiehlt die Circular Economy bzw. Cradle-to-Cradle-Prinzipien mit einer soliden CleanTech-Infrastruktur, um den aktuellen Entwicklungen erfolgreich entgegenzuwirken: Das Modell der Kreislaufwirtschaft hat in den letzten Jahren in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an Boden gewonnen. Dahinter verbirgt sich ein Wandel weg vom linearen Modell des "take-make-dispose" hin zu einem System geschlossener Kreisläufe, die mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Wichtige Elemente des Kreislaufwirtschaftsmodells sind: Ressourcen so lange wie möglich wiederzuverwenden und so im Kreislauf zu halten, den entsorgten Restmüll zu minimieren, Produkte möglichst lange und effizient zu nutzen und diese inklusive der Materialien am Ende der Nutzungsdauer wiederzuverwerten. Das Hauptziel ist es, Produkte, Equipment und Infrastruktur länger in Gebrauch zu halten und damit die Produktivität dieser Ressourcen zu verbessern. Buckley nennt dies eine symbiotische Erde.
Das von den US-Amerikanern Michael Braungart und William McDonough entwickelte Cradle-to-Cradle-Modell will ein biologisches Kreislaufsystem etablieren, das keinen Abfall hinterlässt – im Gegensatz zum herkömmlichen Cradle-to-Grave-Prinzip, bei dem Verpackungen und ähnliches nach ihrer Verwendung letztlich auf dem Müll landen.
Cradle-to-Cradle hingegen beschreibt ein Denken in Kreisläufen, bei dem es um eine ressourcenschonende Wiederverwendung geht. Auch Aspekte der umweltfreundlichen Produktion und Nutzung erneuerbarer Energien werden im Rahmen des Prinzips diskutiert.
Wichtig ist, dass es sich um ein geschlossenes System handelt: Alle organischen Bestandteile des jeweiligen Produkts werden kompostiert und wieder in die Natur zurückgeführt. Gebrauchsgüter sollten möglichst so hergestellt werden, dass sie sich leicht wiederverwerten lassen. Würden alle Unternehmen ihre Produkte wieder zurücknehmen, könnten wertvolle Rohstoffe erneut genutzt werden. Denkbare Möglichkeiten zur Umsetzung sind zum Beispiel Pfandsysteme oder das Leasen und Vermieten der Produkte.
Das Cradle-to-Cradle-Prinzip lässt sich auf alle Stufen des Produktionsprozesses anwenden, vom Produktdesign über die Produktherstellung und -nutzung bis hin zur Rücknahme. So kann durch einen perfekten, in sich geschlossenen Kreislauf Abfall vermieden werden. Buckley bevorzugt das Prinzip des zirkulären Systems als ein globaleres Konzept, das sich nicht auf Zertifizierungen bezieht. Die Messlatte müsse höher gelegt werden, als alle Zertifizierungen heute bieten.
Nachhaltigkeit im Plastikzeitalter
Lebensmittelverpackungen aus Plastik gefährden die biologische Vielfalt. Jede Minute werden weltweit ca. eine Million Getränke in Plastikflaschen verkauft. Besonders kritisch: Abhängig von der Art des Kunststoffs kann es mehrere hunderte Jahre dauern, bis es zu Mikroplastik zersetzt wird.
Zurzeit befinden sich 150 Millionen Tonnen Plastik in den Weltozeanen, jedes Jahr steigt diese Zahl weiter an. Die Müllteppiche, die die Meeresoberfläche bedecken, stellen eine erstzunehmende Gefahr für die Meeresbewohner dar. Die Fläche des größten Müllstrudels, des Great Pacific Garbage Patch vor der kalifornischen Küste, ist ungefähr 4,5-mal so groß wie Deutschland.
Buckley warnt, dass aktuell bereits vor dem Konsum „vierzig Prozent aller produzierten Lebensmittel verschwendet oder weggeworfen” werden. Die Abfallentsorgung auf Deponien sieht er dabei als besonders kritisch an. Der Abfall komme „in Form von Methan zu uns zurück, das 84-mal stärker Wärme einfängt als Kohlendioxid”. Methan ist im kurzfristigen Sinne betrachtet ein stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid, weil es ein viel höheres Wärmefangvermögen besitzt. Methan besitze auf Gewichtsbasis das 80-fache des globalen Erwärmungspotenzials (GWP) von Kohlendioxid. Damit werden nicht nur 40 Prozent Abfall erzeugt, sondern Methan ist auch ein exponentieller Multiplikator von Treibhausgasemissionen. Auch die Entsorgung im Wasser oder die Verbrennung von Abfällen löst das Problem nicht. Daher ist laut Buckley die Reduzierung der Abfallmenge nicht die effektivste Lösung.
Die wirksamste Lösung sei deshalb nicht etwa die Reduzierung der Abfallmenge, so Buckley. Stattdessen führe nur deren vollständige Beseitigung zur Bewältigung der Problematik. Anhalten und die Richtung ändern: Darin sieht der Spezialist für Nachhaltigkeit die Zukunft der Lebensmittel- und Getränkeindustrie.
Die Folge dessen, was heute geschieht, zeige sich erst in etwa zehn Jahren. Für eine langfristige Veränderung hin zu mehr Nachhaltigkeit sollten darum wegweisende Zukunftskonzepte wie Circular Economy zum Einsatz kommen. Neben ressourceneffizienter Kreislaufwirtschaft sieht Buckley große Potenziale in der Anwendung von Hydrokultur, zellulärer Landwirtschaft oder auch dem sogenannten CIP-Verfahren, einer ortsgebundenen Reinigung verfahrenstechnischer Anlagen.
Er spricht sich darum deutlich für „jede Mehrweglösung” aus, bei der der Hersteller „Anreize für die Rückgabe und Wiederverwendung gibt und die Verpackung zurückkommen soll, damit sie wieder aufgefüllt werden kann.” Eine globale Pfand- und Rückgabepolitik könne hier ein wirksames Instrument darstellen.
Nachhaltige Alternativen: Edelstahl, Glas, Bambus & Co.
Die Vielzahl an umweltschonenden Varianten reiche von Edelstahl über Glas, Platin-Silikon und Naturfasertuch bis zu Bambus, Keramik, Töpferwaren und Steinpapier. Buckley räumt ein, dass diese in ihrer Funktionalität nicht „das Niveau von Plastik erreichen” und trotz längerer Haltbarkeit ebenso Energie für „Herstellung und Transport” benötigen. Damit ein Austausch dennoch Sinn mache, müsse eine konsequente Wiederverwendung stattfinden. Nur so könne der optimale Nutzen für Produzenten und Verbraucher sichergestellt werden.
Ein weiterer Lösungsansatz liegt für Buckley in der Produktion. Die Glas verarbeitende Industrie müsse ihre Öfen „rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr befeuern”, was im Gegensatz zu nachhaltigen Produktionsmethoden stehe. Als Pioniere auf diesem Feld gelten Unternehmen wie O-I Glass. Diese setzen durch die Entwicklung fortschrittlicher Methoden erneuerbare Energien ein, sodass alles in einem „kreisförmigen, geschlossenen System” gehalten werde.
Buckley Gesamtfazit: Ausschlaggebend sei, „wie wir vom Bauernhof bis auf den Tisch produzieren”, um den aktuellen umwelt- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen gerecht zu werden.
Viel Stoff zum Nachdenken, Diskutieren und Umsetzen. Schon 2019 standen auf der Anuga im Rahmen der iFood Conference nachhaltige Konzepte für Lebensmittel und Getränke im Fokus. Auch 2021 wird Nachhaltigkeit eines der zentralen Themen sein, dem die weltweit führende Messe der Food & Beverage-Welt neue, relevante und weiterführende Impulse verleiht.